Dieses Dokument bietet einen Überblick und eine Analyse der Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats und seines Sekretariats im Zusammenhang mit der Überwachung der Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Überbelegung von Gefängnissen.
Sie soll Juristen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die im Bereich der Strafvollzugsanstalten tätig sind, bei der Vertretung ihrer Interessen und bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gremien des Europarats unterstützen.
inhalt
Einführung >>
1. Verweis auf die Arbeit des Europarats und der nationalen Menschenrechtsinstitutionen >>
2. Förderung einer umfassenden Strategie unter Einbeziehung aller relevanten Interessengruppen >>
3. Strategien zu den Kernthemen Untersuchungshaft, kurze Haftstrafen und Einweisungsströme >>
4. Weniger Aufmerksamkeit für die Dauer der Inhaftierung und die vorzeitige Entlassung >>
Einführung
Dieses Dokument soll einen Überblick über den Standpunkt des Ministerkomitees des Europarats (MK) und seines Sekretariats zum strukturellen Problem der Überbelegung von Gefängnissen geben.
Zu diesem Zweck untersucht es die Empfehlungen des MK und seines Sekretariats in 13 ausgewählten Ländern: Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien, Moldau, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Slowenien und die Ukraine.[1] Es wurden nur Anmerkungen und Beschlüsse analysiert, die bis September 2023 gemacht bzw. angenommen wurden. Neuere Dokumente wurden nicht berücksichtigt.
In den ausgewählten Fällen, von denen einige Pilot- oder Quasi-Pilot-Urteile sind,[2] stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass die Überbelegung von Gefängnissen ein strukturelles oder komplexes Problem darstellt, das durch die Verabschiedung wesentlicher Maßnahmen gelöst werden muss.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einigen Fällen Orientierungen gegeben, wie dieses Problem angegangen werden kann. Solche Orientierungen können von gezielten Maßnahmen, die innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zu ergreifen sind (z. B. im Falle von Piloturteilen bzgl. der Bereitstellung wirksamer Rechtsbehelfe für Häftlinge, die sich über ihre Haftbedingungen beschweren wollen, siehe Torreggiani und andere gegen Italien, Nr. 43517/09, 2013, §§ 96-99), bis hin zu umfassenderen Erwägungen zur Strafrechtspolitik der jeweiligen Staaten reichen (siehe insbesondere Orchowski gegen Polen, in dem der EGMR feststellte: „Wenn der Staat nicht in der Lage ist, sicherzustellen, dass die Haftbedingungen den Anforderungen von Artikel 3 der Konvention entsprechen, muss er seine strenge Strafrechtspolitik aufgeben, um die Zahl der inhaftierten Personen zu verringern oder ein System alternativer Strafen einzuführen“, Orchowski gegen Polen, Nr. 17885/04, 2009, § 153; siehe auch Torreggiani, § 95).
Trotz dieser Orientierungen hat der EGMR wiederholt betont, dass das MK “besser in der Lage” ist, Orientierungen zu geben, wie ein Staat sein Strafvollzugssystem organisieren oder Gefängnisreformen durchführen sollte (Sukachov gegen die Ukraine, Nr. 14057/17, 2020, § 145; siehe auch Torreggiani, §§ 94-95).
Das MK trifft sich viermal im Jahr auf Stellvertreterebene, um die Fortschritte bei der Umsetzung einer Reihe von Fällen zu überprüfen (“DH-Sitzungen”). Die Überprüfung stützt sich auf Fortschrittsberichte seitens der Regierung („Aktionspläne“, „Aktionsbericht“) sowie auf Meldungen von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NMRI).
Es muss zwischen zwei Hauptquellen unterschieden werden. Erstens die Beschlüsse des MK („MK-Beschlüsse”), die die Referenzdokumente für das Verständnis des Standpunkts des Ausschusses sind.
Zweitens die vom MK-Sekretariat vor der DH-Sitzung erstellten Anmerkungen („Anmerkungen“), die auf den von Regierungen, NRO und NMRI erhaltenen Unterlagen basieren. Diese Anmerkungen beschreiben und analysieren die Situation in dem betreffenden Land sowie die von den nationalen Behörden ergriffenen oder geplanten Maßnahmen. Sie enthalten auch eine Reihe von Vorschlägen, die dem MK zur Kenntnis gebracht werden sollen. Diese Anmerkungen sind nicht verbindlich, können aber zur Auslegung der Entscheidung des MK herangezogen werden. [3]
In diesen Quellen wurden nur Elemente ausgewählt, die sich auf die Überbelegung von Haftanstalten beziehen (Elemente, die sich auf die materiellen Haftbedingungen beziehen, oder Einzelheiten über eingeführte Abhilfemaßnahmen, die nicht mit der Überbelegung in Zusammenhang stehen, wurden nicht berücksichtigt).
1. Verweis auf die Arbeit des Europarats und der nationalen Menschenrechtsinstitutionen
Das MK unterstützt Lösungen, die in anderen Arbeiten des Europarats zu Problemen der Überbelegung von Haftanstalten und der Strafvollzugspolitik vorgeschlagen werden, wie z. B. Empfehlungen (Empfehlung Rec(99)22 zur Überbelegung in den Strafanstalten sowie zum übermäßigen Anstieg der Zahl inhaftierter Personen, Empfehlung Rec(2000)22 zur Verbesserung der Durchführung der Europäischen Grundsätze betreffend der „Community Sanctions and Measures“, Empfehlung Rec(2003)22 zur bedingten Entlassung (Bewährung) und Empfehlung Rec (2006)13 zur Anwendung der Untersuchungshaft, zu den Bedingungen, unter denen sie vollzogen wird, und zu den Schutzmassnahmen gegen Missbrauch – siehe z.B. in Bezug auf Slowenien, 1259. Sitzung, Anmerkungen, 2023), ein Weißbuch (Europäischer Ausschuss für Strafrechtsfragen, Weißbuch zur Überbelegung von Haftanstalten, 2016, siehe z.B. in Bezug auf Rumänien, 1362. Sitzung, Anmerkungen, 2019; 1398. Sitzung, Anmerkungen, 2021; 1468. Sitzung, Anmerkungen, 2023), CPT-Positionen (entweder länderspezifisch oder von breiterer Relevanz – z. B. der CPT-Jahresbericht 2021, in dem der Einsatz eines “verbindlichen Rechtssystems zur Regulierung des Strafvollzugs” zur Bekämpfung der Überbelegung von Haftanstalten befürwortet wird; siehe in Bezug auf Portugal: 1475. Sitzung, Anmerkungen, 2023), oder technische Unterstützung durch den Europarat (z.B. der Aktionsplan des Europarats für die Republik Moldau 2021 – 2024, finanziert durch das Programm Nr. 18 des Treuhandfonds für Menschenrechte (HRTF) – siehe in Bezug auf Moldau: 1265. Sitzung, MK-Beschluss, 2016; in Bezug auf Russland: 1157. Sitzung, Anmerkungen, 2012).
Die Berichte der nationalen Menschenrechtsinstitutionen werden ebenfalls als nützliche Inspirationsquellen erwähnt, die die Quellen des Europarats ergänzen (siehe in Bezug auf Bulgarien: 1172. Sitzung, MK-Beschluss, 2013, in dem das MK die Behörden auffordert, “die einschlägigen Empfehlungen von Aufsichtsorganen auf nationaler und internationaler Ebene, einschließlich des CPT und des Ombudsmanns, gebührend zu berücksichtigen”; in Bezug auf Portugal: 1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023, in dem das MK die Behörden auffordert, “das einschlägige Fachwissen, die Arbeit und die Instrumente des Europarats sowie die Empfehlungen des Nationalen Präventionsmechanismus umfassend zu nutzen”).
2. Förderung einer umfassenden Strategie unter Einbeziehung aller relevanten Interessengruppen
Das MK stellt klar, dass die Bekämpfung der Überbelegung von Haftanstalten die Umsetzung einer umfassenden Strategie erfordert, die alle relevanten Akteure einbezieht und darauf abzielt, verschiedene Aspekte des Phänomens durch politische Änderungen, Sensibilisierungsmaßnahmen für die relevanten Akteure, organisatorische Maßnahmen, die sich auf die Haftbedingungen auswirken, und Interventionen in den Gefängnissen zu behandeln.
Während die Justiz besonders hervorgehoben wird, da sie „der einzige Akteur ist, der eine Freilassung oder eine Anpassung der Strafe anordnen kann und somit in der Lage ist, auf die ‘Quellen’ von Verstößen gegen Artikel 3 einzuwirken“ (Zitat in Bezug auf Frankreich, 1411. Sitzung, Anmerkungen, 2021), sind alle relevanten Akteure des Strafvollzugsbereichs einzubeziehen (siehe in Bezug auf Belgien: „Staatsanwälte, Ermittlungs- und Vollstreckungsrichter, Gefängnisverwaltung und Bewährungshilfe“, 1436. Sitzung, Anmerkungen, 2022; in Bezug auf Griechenland: 1288. Sitzung, Anmerkungen, 2017, in der das Sekretariat ein „Überdenken des Strafvollzugs und des Zusammenspiels zwischen dem Gesetzgeber (Strafsystem), der Justiz (Urteile) und dem Strafvollzug (Haftbedingungen)“ fordert; in Bezug auf Portugal: Sitzung, Anmerkungen, 2023, in der das Sekretariat den „eindeutigen Mehrwert der Konsultation aller Beteiligten“ in diesem Prozess hervorhebt und direkt auf den Beitrag der „Akteure der Zivilgesellschaft verweist, der einen soliden Einblick in die Ursachen der Probleme und die Art der Maßnahmen, die diese lösen können, bietet“).
Eine solche Strategie fehlt häufig in den vom Ministerkomitee betrachteten Ländern und wird oft als notwendiger Schritt zur Lösung des Problems der Überbelegung von Haftanstalten angemahnt (siehe z.B. in Bezug auf Frankreich: 1451. Sitzung, Anmerkungen, 2022 und MK-Beschluss; in Bezug auf die Ukraine: 1475. Sitzung, Anmerkungen, 2023 und MK-Beschluss; in Bezug auf Portugal: 1475.Sitzung, Anmerkungen, 2023 und MK-Beschluss) Die untersuchten Beispiele zeigen, dass eine solche Strategie die Überbelegung von Haftanstalten durch Maßnahmen in den Bereichen Strafrecht (zur Begrenzung der Inhaftierungen), Verfahrensrecht (zur Gewährleistung des Zugangs von Gefangenen zu wirksamen Rechtsbehelfen) und Gefängnisausstattung (zur Verbesserung der materiellen Haftbedingungen) angehen muss.
Ein Beispiel für die Umsetzung solcher Strategien findet sich in Russland in den frühen Phasen der Umsetzung des Urteils Ananyev und andere gegen Russland (Nr. 42525/07, 2012), als das MK „mit Genugtuung feststellte, dass der Aktionsplan auf einer umfassenden und langfristigen Strategie zur Lösung des vom Gericht festgestellten strukturellen Problems beruht“ (1157. Sitzung, Anmerkungen, 2012 und KM-Beschluss). Dieser Aktionsplan umfasste gleichzeitig „Maßnahmen, die auf einen breiteren Rückgriff auf alternative Maßnahmen zur Inhaftierung abzielen; […] Maßnahmen, die auf eine weitere Verbesserung der materiellen Bedingungen der Inhaftierung abzielen; […] und Maßnahmen, die auf die Schaffung innerstaatlicher Ausgleichs- und Präventivmaßnahmen und auf eine weitere Verbesserung der bestehenden Maßnahmen abzielen“ (idem). Trotz seiner anfänglichen „Zufriedenheit“ mit den von den Behörden ergriffenen Maßnahmen während seiner letzten Prüfung des Falles sieben Jahre später, stellte das MK „mit Besorgnis fest, dass der EGMR weiterhin Urteile fällt, in denen er die Überbelegung einer Reihe von Haftanstalten feststellt, und forderte die Behörden auf, Informationen über die zur Lösung dieses Problems ergriffenen Maßnahmen vorzulegen” (1348. Sitzung, MK-Beschluss, 2019).
Auch die Maßnahmen, die die italienischen Behörden bei der Umsetzung des (2016 abgeschlossenen) Torreggiani-Piloturteils ergriffen haben, werden vom Sekretariat gelegentlich als „Inspirationsquelle“ für andere Länder zitiert (siehe z. B. in Bezug auf Ungarn: 1250. Sitzung, Anmerkungen, 2016; in Bezug auf Slowenien: 1259. Sitzung, Anmerkungen, 2016).
Wie vom Sekretariat hervorgehoben, haben die italienischen Behörden Maßnahmen in drei Aktionsbereichen ergriffen: strafrechtspolitische Maßnahmen zur verstärkten Nutzung von Alternativen zur Inhaftierung und zur Begrenzung der Inhaftierungen und der Untersuchungshaft für geringfügige Vergehen, organisatorische Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Gefangenen und die Renovierung von Gefängnissen (1214. Sitzung, Anmerkungen, 2014).
Das MK macht deutlich, dass Maßnahmen zur Aufstockung der Haftplätze allein nicht in der Lage sind, das Problem der Überbelegung zu lösen (siehe in Bezug auf Frankreich: 1451. Sitzung, Anmerkungen, 2022; in Bezug auf Belgien: 1475. Sitzung, Anmerkungen, 2023 und MK-Beschluss) – sie können jedoch Teil der Lösung sein, wenn sie parallel zu anderen politischen Initiativen ergriffen werden (siehe in Bezug auf Griechenland: 1172. Sitzung, Anmerkungen, 2013; in Bezug auf Rumänien: 1122. Sitzung, Anmerkungen, 2015).
3. Strategien zu den Kernthemen Untersuchungshaft, kurze Haftstrafen und Einweisungsströme
In einer Reihe von Anmerkungen des Sekretariats und MK-Beschlüssen wird der Schwerpunkt auf „Maßnahmen zur Begrenzung oder Mäßigung der Zahl der in Haftanstalten eingewiesenen Personen“ gelegt, was in einigen Fällen als „einzig gangbarer Weg zur Kontrolle der Überbelegung“ erscheint (Zitate in Bezug auf Ungarn: 1250. Sitzung, Anmerkungen, 2016, das Sekretariat zitiert den 2014 veröffentlichten CPT-Besuchsbericht, § 39).
Alternativen zur Inhaftierung und zur Untersuchungshaft (durch alternative Sanktionen oder alternative Zwangsmaßnahmen) werden daher häufig gefördert. Dies ist z. B. der Hauptschwerpunkt der Intervention des MK in Bezug auf Ungarn, wo Alternativen zur Inhaftierung als „unzureichend genutzt“ angesehen werden (1377. Sitzung, Anmerkungen, 2020; 1310. Sitzung, Anmerkungen, 2018). Auch in anderen Ländern, wie z.B. in der Ukraine (1390. Sitzung, Anmerkungen, 2020, und MK-Beschluss), in Frankreich (1451. Sitzung, Anmerkungen, 2022 und MK-Beschluss), in Moldau (1186. Sitzung, Anmerkungen, 2013 und MK-Beschluss) und in Slowenien (1259. Sitzung, Anmerkungen, 2016 und MK-Beschluss), wurde dies als Teil des Problems erwähnt. Die Empfehlung, verstärkt auf Alternativen zur Inhaftierung zurückzugreifen, gilt auch für Portugal, obwohl das Land eine der niedrigsten Einweisungsraten in den Ländern des Europarats aufweist, was darauf schließen lässt, dass das Problem der Überbelegung andere Ursachen hat (1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023).
In Ländern, in denen die Häufigkeit und Dauer der Untersuchungshaft ein ernsthaftes Problem darstellt, wurden Alternativen zur Untersuchungshaft ausdrücklich empfohlen oder analysiert – siehe insbesondere die Fälle Polen (1164. Sitzung, Anmerkungen, 2013 und MK-Beschluss), Griechenland (1390. Sitzung, Anmerkungen, 2020) oder Russland (1288. Sitzung, Anmerkungen, 2017).
Unter den Maßnahmen, die von den überprüften Ländern umgesetzt oder vom MK oder vom Sekretariat empfohlenen wurden, befindet sich ein verstärkter Einsatz der elektronischen Überwachung als Alternative zur Untersuchungshaft, „als autonome Strafe oder als Mittel zur Vollstreckung einer Strafe” (Zitat in Bezug auf Belgien; der breitere Einsatz dieser Maßnahme wurde sowohl vom Sekretariat als auch vom MK „mit Interesse” zur Kenntnis genommen: 1475. Sitzung, Anmerkungen, 2023 und MK-Beschluss ).
Eine kritische Analyse des Einsatzes dieser Maßnahme ist in den geprüften Dokumenten nicht erkennbar. In zwei abgeschlossenen Fällen (Polen, Italien) wurde der verstärkte Einsatz der elektronischen Überwachung bei kurzen Haftstrafen umgesetzt und als Teil eines umfassenderen Maßnahmenpakets erwähnt, mit dem einige Ergebnisse im Bereich der Überbelegung erzielt wurden (siehe in Bezug auf Polen: 1265. Sitzung, Entschließung, 2016; in der Entschließung wird der zuletzt vorgelegte Aktionsplan erwähnt, aus dem hervorgeht, dass die elektronische Überwachung als Alternative zu Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr angeordnet werden kann; in Bezug auf Italien: 1201. Sitzung, Anmerkungen, 2014).
In anderen anhängigen Fällen wird die Einführung einer breiteren Nutzung der elektronischen Überwachung als Mittel zur Verringerung der Überbelegung empfohlen (siehe in Bezug auf Belgien: 1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023, oben erwähnt – die erweiterte Nutzung von Alternativen zur Inhaftierung, einschließlich der elektronischen Überwachung, sollte bereits sechs Jahre zuvor „zur Verringerung der Gefängnispopulation beitragen“, siehe 1302. Sitzung, Anmerkungen, 2017; in Bezug auf Rumänien: 1310. Sitzung, MK-Beschluss, 2018). Sie geht einher mit einer Empfehlung zur Stärkung der Bewährungshilfe (siehe in Bezug auf Belgien: 1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023; in Bezug auf Rumänien: Sitzung, Anmerkungen, 2019), in der das Sekretariat bedauert, dass die Bewährungshilfe „trotz ihres grundlegenden Beitrags zur Entlassung von mehr als 100.000 Personen aus dem Strafvollzug weiterhin stark unterbesetzt ist, was ihr effektives Funktionieren für den kurz- und langfristigen Erfolg der rumänischen Strategie gegen die Überbelegung unabdingbar macht“; siehe auch den Fall Slowenien, wo eine der ergriffenen Maßnahmen die Einrichtung eines Bewährungsdienstes war: 1294. Sitzung, Anmerkungen, 2017).
Andere Maßnahmen umfassen gezielte Eingriffe in das Strafrecht, um sicherzustellen, dass „Freiheitsentzug ein letztes Mittel ist“ (Zitat in Bezug auf Moldau: 1406. Sitzung, Anmerkungen, 2021). Dies wurde in Bezug auf Bagatelldelikte z. B. von Italien (1150. Sitzung, Anmerkungen, 2012 und MK-Beschluss) oder Polen (1265. Sitzung, Entschließung, 2016, mit Verweis auf den jüngsten Aktionsplan) getan und von Griechenland im Rahmen einer Reform im Jahr 2020 ins Auge gefasst, „die auf die Durchsetzung einer gemäßigteren Kriminalpolitik abzielt“ (1390. Sitzung, Anmerkungen, 2020 und MK-Beschluss), und bei der ersten Prüfung der Umsetzung des Piloturteils Varga u. a. gegen Ungarn (Nr. 14097/12, 2015) von Ungarn als notwendig erachtet; (siehe 1236. Sitzung, Anmerkungen, 2015: Das Sekretariat erklärte, dass die Entwicklung von Alternativen zur Inhaftierung angesichts der Tatsache, dass Bagatelldelikte häufig mit freiheitsentziehenden Maßnahmen geahndet werden, erforderlich ist). In Bezug auf Belgien verwendete das MK eine alternative Formulierung, indem es vorschlug, „die Zahl der gesetzlich vorgesehenen Fälle von Freiheitsentzug zu reduzieren“ (1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023).
Eine weitere Maßnahme, die in jüngeren Beschlüssen an Bedeutung gewonnen zu haben scheint, ist die Einführung einer rechtsverbindlichen Kontrolle der Gefängnispopulation. Dies wurde von den slowenischen Behörden in ihrer „vielschichtigen nationalen Strategie zur Bekämpfung des Problems der Überbelegung“ als Maßnahme erwähnt (1294. Sitzung, Anmerkungen, September 2017: Gefangene des Gefängnisses von Ljubljana sollten automatisch in andere Gefängnisse verlegt werden, wenn die Einrichtung ihre maximale Kapazität erreicht hat) und in Bezug auf Frankreich empfohlen (1451. Sitzung, MK-Beschluss, 2022: Das MK forderte die Behörden auf, „neue gesetzliche Maßnahmen zu erwägen, die die Gefangenenpopulation verbindlicher regeln“) sowie auch in Bezug auf Belgien (1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023: Das MK forderte die Behörden auf, „unverzüglich verbindliche Maßnahmen zur Regulierung der Gefangenenpopulation zu erwägen“).
Eine ähnliche Maßnahme wurde vom Sekretariat auch für Portugal ins Auge gefasst, erscheint aber nicht im MK-Beschluss (1475. Sitzung, 19.-21. September 2023: vgl. die Anmerkungen, die vorschlagen, ein „verbindliches gesetzliches System zur Regulierung der Gefängnisse einzuführen, das aktiviert wird, sobald Überbelegungen auftreten […], z.B. durch die Einführung einer absoluten Obergrenze für die Anzahl der Gefangenen für jedes Gefängnis“; der MK-Beschluss fordert die Behörden lediglich auf, „alle im Rahmen der geltenden Gesetzgebung verfügbaren Mittel zu nutzen, um die Zugänge im Strafvollzugssystem zu begrenzen“).
4. Weniger Aufmerksamkeit für die Dauer der Inhaftierung und die vorzeitige Entlassung
Die Reformen der Staaten zur Verringerung des Strafmaßes betreffen in erster Linie geringfügige Straftaten, wie die von Italien verabschiedete Reform zur Einführung „milderer Strafen für geringfügige Drogendelikte“ (1201. Sitzung, Anmerkungen, 2014) oder Griechenland, das „Bagatelldelikte“ abgeschafft hat (1390. Sitzung, Anmerkungen, 2020).
Das Problem der langen Haftstrafen wird nur selten angesprochen.
Zweimal werden sie kurz als ein Faktor der Überbelegung erwähnt. In Bezug auf Frankreich fügt das Sekretariat, nachdem es die Auswirkungen kurzfristiger Haftstrafen auf die Überbelegung hervorgehoben hat, hinzu, dass längere Haftstrafen zu einer „Überbelegung der Haftplätze im Laufe der Zeit“ beitragen (1451. Sitzung, Anmerkungen, 2022). In Bezug auf Rumänien befürchtet das Sekretariat, dass „längere Strafen für Wiederholungstäter und strengere Bedingungen für den Zugang zu einer bedingten Entlassung“ die positiven Auswirkungen eines breiteren Einsatzes der elektronischen Überwachung aufheben könnten (1310. Sitzung, Anmerkungen, 2018).
Das Thema wird in Bezug auf Griechenland ausführlicher behandelt: Als Reaktion auf eine Strafrechtsreform, die härtere Strafen für eine Reihe von schweren Straftaten vorsieht, stellte das Sekretariat fest, dass „der Anstieg der Strafbarkeit am oberen Ende der Strafskala nicht durch die bescheidenere Senkung am unteren Ende kompensiert werden kann“ und dass eine solche Politik „in der Regel zu einem Anstieg der Inhaftierungsraten führt und folglich nicht in der Lage ist, die Überbelegung der Gefängnisse konsequent anzugehen“ (1428. Sitzung, Anmerkungen, 2022).
Beispiele für Verbesserungen der Mechanismen zur Strafanpassung kommen häufiger vor, entweder als Empfehlungen zur Umsetzung (siehe in Bezug auf Belgien: 1355. Sitzung, MK-Beschluss, 2019; in Bezug auf Moldau: 1406. Sitzung, MK-Beschluss, 2021; in Bezug auf Portugal: 1475. Sitzung, MK-Beschluss, 2023), oder als positive Bewertung der von den Behörden ergriffenen Maßnahmen (siehe in Bezug auf Bulgarien: 1411. Sitzung, Anmerkungen, September 2021, nach einer Reform, die es Häftlingen ermöglicht, eine bedingte Entlassung direkt beim zuständigen Gericht zu beantragen und die Bedingungen für den Zugang zu einer bedingten Entlassung von Wiederholungstätern zu lockern; in Bezug auf Italien: 1214. Sitzung, Anmerkungen, 2014, im Zusammenhang mit einer Reform, die die Möglichkeiten für Gefangene erhöht, unter Aufsicht vorzeitig entlassen zu werden, indem die Anzahl der Hafttage pro Semester erhöht wird, damit ein Gefangener Anspruch auf eine vorzeitige Entlassung hat; in Bezug auf Rumänien: 1348. Sitzung, Anmerkungen, 2019 und MK-Beschluss, im Zusammenhang mit einer Reform in Bezug auf die Entlassung auf Bewährung, die zur Verringerung der Zahl der Gefangenen beigetragen hat; in Bezug auf Griechenland: 1230. Sitzung, Anmerkungen, 2015, in der das Sekretariat vorschlägt, die bestehenden Maßnahmen zur „Begrenzung der Zahl der Personen, die zur Vollstreckung einer Strafe in ein Gefängnis eingewiesen werden (Alternativen zur Inhaftierung), und zur Sicherstellung einer Verringerung der Zahl der verurteilten Häftlinge durch die Aussetzung von Haftstrafen oder vorzeitige Entlassung“ durch Alternativen zur Untersuchungshaft zu ergänzen).
Es wurden auch Empfehlungen ausgesprochen, um die während der COVID-19-Pandemie angenommenen vorübergehenden Maßnahmen dauerhaft zu machen. Diese Maßnahmen führten häufig zu einem Rückgang der Gefangenenpopulation nach der Umsetzung von Strafanpassungsregelungen (siehe in Bezug auf „flexibleren Strafvollzug“ dauerhaft zu machen, der vom Sekretariat in seinen Anmerkungen als „teilweise Begnadigung von Haftstrafen, Gewährung von außerordentlichem Verwaltungsurlaub, Straferlass und vorzeitige Entlassung auf Bewährung“ beschrieben wird – diese Empfehlung wurde bei der Prüfung des Falls 2023 nicht wiederholt). In Bezug auf Belgien (das ähnliche Maßnahmen in Form von Strafunterbrechungen und vorzeitiger Entlassung umsetzte) stellte das Sekretariat lediglich fest, dass „die Gelegenheit, die sich während der ersten Welle von COVID-19 bot, genutzt wurde, ihre Auswirkungen jedoch nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wurden“, was nicht als Empfehlung zur Verlängerung der Maßnahmen interpretiert werden kann (1398. Sitzung, Anmerkungen, 2021; Hervorhebung: Die Maßnahmen werden in der Fußnote 15 als Beitrag von den nationalen Menschenrechtsinstitutionen in den Anmerkungen des Sekretariats erwähnt).
Die Frage der Überbelegung als demografisches Phänomen und die Frage der Verfahrensrechte der Gefangenen überschneiden sich mit der Frage der Ausgleichsmaßnahmen, die die Behörden einführen sollen: Bei zahlreichen Gelegenheiten schlug das MK vor, Maßnahmen einzuführen, die Entschädigungen in Form von Strafminderungen für Gefangene gewähren, die unter schlechten Haftbedingungen inhaftiert sind (das in diesem Zusammenhang angeführte Beispiel ist die in Italien eingeführte Maßnahme, die der EGMR in seiner Entscheidung Stella gegen Italien (Nr. 49169/09, 2014) analysiert hat, eine Entscheidung, die „den unbestreitbaren Vorteil hat, zur Lösung des Problems der Überbelegung beizutragen, indem es die Entlassung von Häftlingen aus dem Gefängnis beschleunigt“; siehe auch 1201. Sitzung, MK-Beschluss, 2014; siehe in Bezug auf Russland: 1288. Sitzung, MK-Beschluss, 2017; in Bezug auf Rumänien: 1362. Sitzung, MK-Beschluss, 2019), in dem der CM die „Abschaffung des Rechtsmittels bedauert, das eingeführt wurde, um Personen, die unter schlechten Bedingungen inhaftiert sind, eine Entschädigung in Form von Strafminderungen zu gewähren“).
[1] Die Länder und die entsprechenden Fälle sind: Belgien: Vasilescu gegen Belgien, Nr. 64682/12, 25. April 2014; Bulgarien: Neshkov gegen Bulgarien, Nr. 36925/10, 27. Januar 2015 & Keyahov gegen Bulgarien, Nr. 41035/98, 18. Januar 2005; Frankreich: J.M.B. und andere gegen Frankreich, Nr. 9671/15, 30. Januar 2020; Griechenland: Nisiotis gegen Griechenland, Nr. 34704/08, 10. Februar 2011; Ungarn: Varga und andere gegen Ungarn, Nr. 14097/12; Italien: Torreggiani gegen Italien, Nr. 43517/09, 8. Januar 2013 & Sulejmanovic gegen Italien, Nr. 22635/03, 16. Juli 2009; Moldau: Ciorap gegen Moldau, Nr. 12066/02, 19. Juni 2007 & I.D. gegen Moldau, Nr. 47203/06, 30. November 2010; Polen: Orchowski gegen Polen, Nr. 17885/04, 22. Oktober 2009 & Norbert Sikorski gegen Polen, Nr. 17599/05, 22. Oktober 2009; Portugal: Petrescu gegen Portugal, Nr. 23190/17, 3. Dezember 2019; Rumänien: Rezmiveș gegen Rumänien, Nr. 61467/12, 25. April 2017 & Bragadireanu gegen Rumänien, Nr. 22088/04, 6. Dezember 2007; Russland: Ananyev gegen Russland, Nr. 42525/07, 1. Oktober 2012; Slowenien: Mandic gegen Slowenien, Nr. 5774/10, 20. Januar 2012; Ukraine: Sukachov gegen Ukraine, Nr. 14057/17, 30. Januar 2020. Siehe Anhänge für weitere Einzelheiten zu den Fällen.
[2] Piloturteile werden erlassen, wenn die betreffende Frage aufgrund ihres strukturellen oder systemischen Charakters zu einer großen Zahl ähnlicher Anträge führt. In diesen Urteilen kann der Gerichtshof Hinweise zu den Maßnahmen geben, die der beklagte Staat innerhalb einer bestimmten Frist zu ergreifen hat. Piloturteilsverfahren ermöglichen dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Prüfung der entsprechenden Beschwerden zu vertagen. Siehe das vom EGMR erstellte Factsheet zu Piloturteilen.
[3] Für weitere Einzelheiten siehe Leitfaden: Verfahren und Arbeitsmethoden des Ministerkomitees, Teil III. 5: Die Sitzungsunterlagen umfassen die für die Diskussion erforderlichen Basisdokumente und die Vermerke zur Tagesordnung, in denen die Beschlussentwürfe enthalten sind. Das Sekretariat erstellt nur dann Anmerkungen zur Tagesordnung, “wenn sie einen Mehrwert für die Diskussionen der Abgeordneten darstellen und/oder wenn sie für die Vorbereitung der Entscheidung der Abgeordneten erforderlich sind”; siehe auch European Implementation Network, Implementation of Judgments of the European Court of Human Rights. A Handbook for NGOs, injured parties and their legal advisers, S. 14: “Diese Anmerkungen enthalten Zusammenfassungen der Fälle und der sich ergebenden Fragen sowie MK-Entscheidungsentwürfe zu jedem Fall”.
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